Weggefährten erinnern sich

Gedanken von Urs Freuler, Xaver Kurmann, Daniel Gisiger und Alois «Wisel» Iten zu Josef «Sepp» Helbling (*15. Juli 1935 – † 11. September 2024)

Urs Freuler (66): «Pünkt hole, Pünkt hole»
«Ohne Sepp Helbling hätte ich wohl keinen Titel geholt, das war mir schon zu aktiven Zeiten bewusst. Wir waren ein aussergewöhnliches Team. Sepp konnte mich als Sportler und Mensch regelrecht lesen, er wusste, wie es in mir drinnen aussah. Klar, Velo fahren musste ich dann schon noch selber, aber Sepp war der Dirigent bei allen meinen Titeln (10 x Weltmeister, 3 x Europameister, 9 x Schweizer Meister). Er war für mich eine Vaterfigur. Als Trainer ein Genie: Ausgezeichneter Sportlehrer, Ernährungsberater, Mentalcoach, Antreiber, Freund, Lebensberater, alles in Personalunion. Und er war ein Taktikfuchs, wie er mich und die Kollegen im Vierer anfeuerte: «Pünkt hole, Pünkt hole» höre ich ihn heute noch rufen. Die ersten Jahre waren wir noch per Sie. Erst 1981 bot er mir das Du an. Was für eine Auszeichnung. Es läuft mir jetzt noch kalt den Rücken herunter, wenn ich an den Start zum Rennen um den 8. WM-Titel denke. Alle Sportler und ihre Betreuer standen bereit, Sepp war mein Starter. Aber ich war so unerträglich nervös, dachte alle Welt schaut nur auf mich, es gab nur gewinnen oder alles verlieren. Eigentlich hätte ich mein Fahrrad am liebsten versteckt und wäre abgehauen. Aber Sepp schaffte es mit seiner Ruhe und Souveränität, mich zu erden. Danke, Sepp.»

Xaver Kurmann (76): «Sepp war ein Vorbild als Trainer und Mensch!
«Meine Erinnerungen an Sepp Helbling beginnen 1967 als 19-jähriger bei den Amateuren an den Bahn-Weltmeisterschaften in Amsterdam. Sepp war damals erstmals Trainer und immer für die Rennfahrer da. Hatte für alle Fragen, Sorgen, Gedanken immer ein offenes Ohr und schenkte uns Zeit. Er machte in jener Zeit die stundenlangen Trainings, aber er stand im Schatten von Nationaltrainer Oscar Plattner, der mich einmal als seinen «Lieblingsschüler» bezeichnete. Doch ganz ehrlich: Ohne die grosse Sportlehrer-Kompetenz von Sepp Helbling und ohne sein menschliches Engagement wären die damaligen Radsport-Erfolge gar nicht möglich gewesen. Sepp war ein begnadeter Motivationskünstler, er führte uns flexibel. Er achtete nämlich auch auf die Schritte, die wir ausserhalb der Bahn gingen, ohne uns gross einzuengen. Er, der ehemalige Tanzlehrer, kannte ja die Jugend, keiner wollte als Trainingsweltmeister in die Geschichte ein- und mit unserer Flausen im Kopf in den Ausgang gehen. Wenn es im Rennen einmal nicht so funktionierte, wie es das Duo Plattner/Helbling für uns ausgedacht hatte, war gerade Sepp als «Stehaufmännchen» ein Vorbild. Die acht intensiven Jahre der Zusammenarbeit mit ihm (bis 1974) bleiben in meiner Erinnerung wie in Stein gemeisselt. Danke Sepp!»

Daniel Gisiger (69): «Sepp hatte einen 7. Sinn für grosse Talente»
«Meine Faszination für den Radsport begann mit Xaver Kurmann. Er war mein Jugendidol. Es beeindruckte mich, wie er im September 1970 in Biel als Weltmeister in der Verfolgung ein Kriterium im Weltmeistertrikot fuhr. Der Trainer hinter ihm: Sepp Helbling. Meine Neugier und mein Interesse war geweckt, Bahnrennen in der Mannschaftsverfolgung hatten es mir besonders angetan. Dank der Offenheit von Sepp Helbling, seinem 7. Sinn für junge Talente, aber auch seiner unkomplizierten Bereitschaft den Nachwuchs zu fördern, was bei ihm auch hiess im Training viel zu fordern, begann ein riesiges Abenteuer, intensive Jahre von 1975 bis 1980. 1977 in der Mannschaftsverfolgung in San Cristobal (Venezuela) verwirklichte sich, im Team mit Walter Baumgartner, Hans Känel und Robert Dill Bundi, mein Traum von einer Medaille an den Weltmeisterschaften in der Mannschaftsverfolgung. Sepp war nicht nur Trainer, er war auch unser Erzieher. Er vermittelte uns seine Vision vom gesunden und fairen Radsport, korrigierte sensibel unsere Einstellungen und Fehler und brachte uns seiner Philosophie näher. Sepp war für mich ein prägendes Vorbild als Trainer. Ich verehre ihn bis heute als Mensch. Zusammen mit «Nationalmechaniker» Fritz Brühlmann, der 2022 verstorben ist, hat er meine Karriere als Rennfahrer, noch mehr meine Karriere als Trainer beeinflusst. Ruhe in Frieden, lieber Sepp.»

Alois «Wisel» Iten (80): «Mit Sepp verlor die Rennbahn ihr sportliches Gewissen»
«Sepp Helbling kannte ich über sechzig Jahre. Er war zwar neun Jahre älter, aber wir fuhren miteinander noch Bahn- als auch Strassenrennen. Später sassen wir bei den Trainerkursen in Magglingen oft nebeneinander. Als Bahntrainer stand Sepp Helbling anfänglich abseits vom charismatischen Nationaltrainer Oskar Plattner. Dessen Lorbeeren hätte Sepp oftmals auch verdient. Aber ihn drängte es nie in den Mittelpunkt. Sepp war gerne der Schaffer. Exakt und fleissig. Ganze Arbeit leistete er während Jahren im Rennbüro der offenen Rennbahn. Er war wohl der erste im Schweizer Radsport, der Computer einsetzte und richtig nutzte. Als wir die IGOR gründeten, den Verein, der die Rennbahn betreiben sollte, und wir ihn fragten, ob er mitmachen möchte, stand er unseren Plänen skeptisch gegenüber. Einige Zeit später liess er sich aber doch noch überzeugen und stellte sich in den Dienst unserer guten Sache. Bis jetzt. Im Impressum des aktuellen Programmhefts ist er nämlich noch aufgeführt, zuständig für Statistiken. Ein schwerer Verlust war es für ihn, als vor zwei Jahren seine langjährige, ihn so sehr mit kleinen Aufmerksamkeiten verwöhnende, fürsorgliche Partnerin Elsie verstarb. Er redete zwar nicht darüber, aber man verspürte seine Trauer. Eigentlich ist es gut, dass Sepp Computer und Handy nicht in den Himmel mitnehmen konnte. Jetzt haben die beiden viel Zeit füreinander. Sepp wird uns fehlen.»