
Die tollkühnen Piloten auf ihren schweren Töffs
Im Volksmund werden sie Kohlensäcke gerufen. Doch dies wird ihrer Tempofestigkeit nie und nimmer gerecht. Sie rasen mit fast 100 Sachen durchs Zementoval und diktieren das Geschehen offensiv mit. Sie sind die heimlichen Helden der Rennbahn. Fehlen dem Schrittmacher im Steherrennen Gefühl, Intuition und Überblick, hat der Pedaleur im Windschatten keine Chance.
Wobei das generische Maskulin «Schrittmacher» auf der Offenen Rennbahn seit zwei Jahren überholt ist. Mit Nicole Fry diktiert seither auch eine Frau die Pace – was einigen Puristen noch immer leichte Bauchschmerzen verursacht. Doch dies ist eine andere Geschichte.
Das letzte Abenteuer
Steherrennen gehören zu den letzten grossen Abenteuern der Sportwelt. Dies lässt sich auch an den schweren Maschinen ablesen: Es sind umgebaute Strassenmotorräder mit 850 Kubikzentimetern Kraft und einem Gewicht von 230 Kilogramm. Angeschafft wurden sie 1993 vom legendären Hallenstadiondirektor Sepp Voegeli. Seither werden sie in Oerlikon gehegt und gepflegt wie eine aussterbende Tierart. Und dies ist nicht ganz falsch. Oerlikon ist die einzige Bahn, die in der Schweiz noch Steherrennen austrägt.

Im Wilden Osten zuhause
Im Ausland sind die schweren Töffs noch in Singen oder auf den Rennbahnen im Wilden Osten Deutschlands zuhause.
Der Mythos der Steher gründet auch auf dem Risiko, das immer mitfährt. Dies wurde vor 116 Jahren in Berlin mit tödlicher Grausamkeit ersichtlich: Das Motorrad eines Schrittmachers flog ungebremst in die Zuschauerränge – und explodierte. Neun Menschen starben, 40 wurden verletzt. Danach wurden Steherrennen vorübergehend verboten – aber nach Anpassungen im Sicherheitsdispositiv bald wieder erlaubt.

Tragische Unfälle in Oerlikon
Auch die Offene Rennbahn Oerlikon blieb von Dramen nicht verschont. 1927 stürzte der deutsche Steher-Profi Ernst Feja in einem Trainingslauf. Der Reifen hatte sich vom Rad gelöst. Trotz Sturzhelm erlitt Feja einen tödlichen Schädelbruch.
Ebenfalls im Training stürzte 1938 der Schweizer Werner Walter. Bei seinem Rad platzte bei einer Geschwindigkeit von rund 75 Kilometern pro Stunde der Vorderpneu. Auch er hauchte auf der harten Bahn das Leben aus.
Heute viel sicherer
Der letzte Steher, der in Oerlikon tödlich verunfallte, war vor 80 Jahren der erst 23-jährige Zürcher André Hardegger. Seither sind die Steherrennen viel sicherer geworden. Das Material ist stabiler, die Motorradfahrerinnen und Fahrer sind besser ausgebildet. Wer sich auf einen Schrittmachertöff setzen will, muss eine aufwendige Prüfung ablegen – in Theorie und Praxis. «Bei uns hat die Sicherheit oberstes Gebot», sagt Rennbahnchef Wisel Iten. Dies gilt auch für die Wartung der Maschinen, die zweimal pro Jahr einem Servicecheckunterzogen werden.
Was die Faszination von Steherrennen ausmacht, lässt sich in Oerlikon das nächste Mal am kommenden Dienstag erleben. Dann stehen die sieben besten Gespanne der Schweiz im Einsatz – sowie der französische Publikumsliebling Emilien Clère. Spannung und Nervenkitzel sind garantiert.
Offene Rennbahn. Oerlikon. 3. Juni 2025. Programm. Ab 17.30 Uhr (u.a.). Schweizer Meisterschaft Einzelverfolgung, Vorläufe (Männer, Frauen, U23). 18.30 Uhr: Scratch (U13, U15). 18.40 Uhr: Ausscheidung (Frauen, U17, U19). 18.50 Uhr: Schweizer Meisterschaft Einzelverfolgung, Finalläufe (Männer, Frauen, U23). 19.20 Uhr: Steher, 1. Lauf. 19.55 Uhr: Ausscheidung (U19, U23, Elite). 20.50 Uhr: Punktefahren (U19, U23, Elite). 21.20 Uhr: Steher, 2. Lauf. 21.55 Uhr: Rennschluss.
Öffentlichkeitsarbeit: Thomas Renngli | IGOR