
Wisel, Koblet und die Voegeli-Ecke
Es gibt Dinge im Leben, die sind unbezahlbar, beispielsweise Führungen durch die Geheimnisse der Offenen Rennbahn mit Alois «Wisel» Iten. Man erlebt dabei eine Reise in die Vergangenheit und zurück in die Zukunft.
Der Präsident der Interessengemeinschaft Offene Rennbahn (IGOR), kennt das Zementoval seit er ein Schulbub war. Stundenlang stand er am Tor, um von Hugo Koblet ein Autogramm zu erhaschen. Und er platzte fast vor Stolz, als er von seinem grossen Idol in dessen Sportwagen auf eine kurze Ausfahrt mitgenommen wurde.
So ist es logisch, dass die Rennbahnführungen von Wisel Iten bei Hugo Koblets Grabstein im Eingangsbereich der Anlage beginnen. Sofort stellt Iten aber klar: «Hugo ist hier nicht begraben. Aber mit dem Grabstein wollen wir ihm ein ewiges Andenken wahren».
Iten zeigt auch im Kabinenbereich als erstes, wo Koblets Garderobe war – und wo diejenige dessen Mechanikers. Auch sonst verbirgt sich hinter jeder Türe eine Geschichte – fast wie bei einem Adventskalender. Früher seien die Kabinentüren im matten Grau gehalten gewesen. Als die Igor 2002 das Kommando über die Rennbahn übernahm, strich man die Pforten in den Farben des Regenbogentrikots: «Wir wollen hier Weltmeister machen», sagt Iten und weisst den Weg zum Raum mit den grossen Schrittmachermaschinen.
Der 81-jährige Jungsenior hat alle technischen Daten sofort bereit: «Es handelt sich um umgebaute Strassenmaschinen mit 850 Kubikzentimetern Motorenstärke und einem Gewicht von 230 Kilogramm». Angeschafft wurden sie 1993 vom legendären Hallenstadiondirektor Sepp Voegeli.
An den Wänden der Garderobe hängen schwarze Lederkleider – jene Ausrüstung, die den Schrittmachern den Übernamen «Kohlensäcke» bescherte und dazu beitragen, dass der Windschatten für die Pedaleure besonders gross ist.

Spricht Wisel Iten über die Rennbahn, bemerkt man erst wie komplex der Bahnsport ist. Dies beginnt bei den Markierungen in den 44,8 Grad steilen Kurven: die unterste Linie ist die Messlinie. Sie definiert die Länge der Bahn: 333 Meter. Die rote Linie ist die Sprinterlinie. Bewegt sich ein Fahrer an dieser Markierung, ist das Überholen nur ausserhalb erlaubt. Dasselbe gilt für die beiden Steherlinien – wobei die zweite in Zürich durchaus ein Sonderfall ist. Iten: «Nur besonders breite Bahnen haben eine zweite Steherlinie». Und er sagt auch gleich, was oberstes Gesetz ist: «Wer innen überholt, wird sofort aus dem Rennen genommen».
Man spürt es bei jedem Wort: Die Offene Rennbahn ist für Wisel Iten wie das zweite Zuhause. Auch deshalb ärgert er sich leicht, dass die älteste Schweizer Sportarena, die 1912 in nur fünf Monaten gebaut wurde, keine eigene Adresse hat: «Die Anschrift Thurgauerstrasse 2 bezieht sich auf meine Velowerkstatt. Und Dörflistrasse 90 ist die Agip-Tankstelle». So seien schon oft Briefe und Pakete an die Rennbahn verloren gegangen.
Apropos Agip-Tankstelle. Auch diese verdankt ihre Existenz Hugo Koblet. Um die Stadt davon zu überzeugen, dass man an dieser attraktiven Stelle unbedingt eine Tankanlage bauen müsse, habe das italienische Unternehmen Hugo Koblet als Botschafter unter Vertrag genommen und den populären Zürcher als Verhandler zum Stadtrat geschickt.
Und prompt erhielt Agip den Zuschlag. Dass die Firma später Koblet schnöde entlassen hat, sei die Ungerechtigkeit des Lebens, so Iten. Die Führung durch die Anlage lässt die Besucher staunen – dank Iten sieht man Dinge, die man sonst nie sehen würde. Beispielsweise die «Voegeli-Ecke», die man entfernen kann, damit das Peloton bei der Ankunft eines Strassenrennens sicher auf die Bahn einbiegen kann. Oder die schmale Treppe hoch zum Innenraum, die früher den Rennfahrern und Betreuern vorbehalten war. Was dem Tourguide aber besonders wichtig ist: «Der Betrieb auf der Rennbahn ist nur möglich, weil wir auf 28 ehrenamtliche Helfer zählen können. Würden sie nicht jeden Dienstag für Wurst und Brot anpacken, wäre die Anlage nicht zu finanzieren. Aber so dürfen wir auf eine schöne Zukunft hoffen.»
Wisel Iten könnte mit seinem Wissen über die Offene Rennbahn Bücher füllen. Und auch wenn er vor allem vom Radsport und von Velohelden erzählt, spürt man sofort: Auf der Offenen Rennbahn wurde in den letzten 113 Jahren Geschichte geschrieben. Und ein ganz besonderes Stück Zeitgeist kultiviert. Und dieser lebt hoffentlich für immer. Auch dank Alois Iten, dem besten Rennbahn-Guide der Welt.
Anmeldungen für Führungen auf der Offenen Rennbahn unter:
Rennprogramm. Dienstag, 5. August 2025
18.45 Uhr: Scratch (U13/U15)
18.55 Uhr: Ausscheidungsfahren (U15/U17/Frauen)
19.05 Uhr: Stillstand-Wettbewerb (U19/U23/Elite)
19.20 Uhr: Steher, 1. Lauf
19.45 Uhr: Ausscheidungsfahren (U19/U23/Elite)
19.55 Uhr: Pause
20.15 Uhr: Scratch (U19, U23, Elite)
20.25 Uhr: Ausscheidungsfahren (U13/U15)
20.35 Uhr: Scratch (U17/U19/Frauen)
20.45 Uhr: Punktefahren (U23/Elite)
21.15 Uhr: Steher, 2. Lauf
21.45 Uhr: Rennschluss

Öffentlichkeitsarbeit: Thomas Renngli | IGOR